Hans Werner Henze
Die an den Rändern des Mittelmeers Lebenden nennen die blaue Stunde bei ihrem Namen „Die blaue Stunde“, weil sie tatsächlich am west-östlichen Horizont plötzlich, wie unerwartet, mit einer Art sich langsam verdunkelnden Opalinblau beginnt, abends nach Sonnenuntergang und vor Mondaufgang, sommers wie winters. Sie ist aber auch in allen anderen Teilen der Welt vorhanden und zu bewundern. Allerdings setzt sie Wolkenlosigkeit voraus! Es ist dies die Zeit, wo der Tag sich ausklinkt und wo die Nacht , die draussen schon gewartet hat, gravitätisch und sehr langsam herbei sich schickt und in aller Ruhe alle Welt verwandelt. Auch das menschliche Innenleben ist davon betroffen: Hoffnungen, Bangen, erste Liebe und Einsamkeit werden vom sanftesten & schönsten Abendlicht gestreift wie tröstende Wörter oder Fragmente aus vergessenen Musikstücken.
Ich hätte vielleicht gern den Vorgang des graduellen Verblassens und Dunkelwerdens wissenschaftlich genauer beschrieben und nicht so sehr für eine Nebensache genommen wie die Komposition auf den ersten Blick (bzw. beim ersten Hören) erscheinen lässt. Wir hätten dafür den Mut zum Ungeformten, Sprachlosen haben müssen - stattdessen gibt es, sozusagen ersatzweise, eine Anzahl multipler Gestalten und Symbole, die sich bei ständig wechselndem Licht vorzubewegen scheinen und mit deren Tun und Lassen die Verfärbungen sich vollziehen - deutlich, nicht undeutlich! - damit sie uns kommunikabel und nachvollziehbar werden möchten. Und ich beschwöre hier keine schwarzen Wintertöne, sondern eher eine sommernächtliche gemütliche Serenadenstimmung. Es soll Ruhe sein. Wir wollen unseren Frieden.
Hans Werner Henze
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