1. die verlängerte Dauer dieser Akkorde (und auch der gesamten Sonate)
2. neuartige Akkordfolgen
3. fehlende Auflösungen
Dem Ton Fis kommt in dieser Sonate eine zentrale Rolle zu. Es ist jener Ton, der weitest möglich von ihrer Tonart C-Dur entfernt ist, es ist der letzte Ton des Menuetts und der Grundton des die Durchführung des ersten Satzes beherrschenden Klanges. (Auch im Seitenthema des ersten Satzes ist dieser Ton markant wahrnehmbar.)
Schubert hat – wie dem Manuskript ersichtlich ist, in Takt 15/16 gezögert, gestrichen. An dieser Stelle tritt erstmals der Ton ges, die enharmonische Verwechslung von fis, auf.
Am Ende des unvollendeten Finales ist fis ebenfalls enthalten (als Basston). Schubert schrieb Zeile für Zeile, fis ist daher der Basston des letzten Akkordes, den er in dieser Sonate geschrieben hat.
Diesen Ton fis habe ich als den Todeston der Sonate empfunden und ihn im „Torso“ (nicht schematisch, aber immer wieder an markanten Stellen) durch Oktaven im gedämpften Blech instrumentiert.
Im vierten Satz des „Torso“ griff ich ein einziges Mal in die Zeitstruktur des Werkes ein:
Der Lauf in Takt 89 wurde perpetuiert, das darübergesetzte Motto „hoffnungslos sinkender“ ist einem Text Rellstabs entnommen, den Schubert vertonte („In der Ferne“). Aus dem markanten kurzen Klavierlauf ist eine Endlosspirale geworden.
Das Hauptthema des ersten Satzes ist in diesem vierten Satz immer wieder latent vorhanden. Schubert fügt es diminuiert als Ornament in einer Variante des Seitenthemas ein – eine Technik, die er den Fugen des späten Beethoven übernommen hat, die hier aber eher Brahms vorwegnimmt. Auch im Bereich des Hauptthemas des vierten Satzes drängt sich dieses Thema als Kontrapunkt geradezu auf.
Die Gestaltung des Seitenthemas dieses Satzes bereitete mir zunächst Probleme, ich hatte Schwierigkeiten, den richtigen Klang zu finden. Was ich wusste, war, dass an jenen Stellen, an denen die Diminuition des Anfangsthemas des ersten Satzes erscheint, der volle Orchesterklang gewissermaßen „dreinfahren“ sollte.
Ich schrieb diesen Teil des „Torso“ Anfang 2002 in Berlin, als Gast des DAAD. Die Verbindung mit dem Geschehen in Österreich beschränkte sich im Wesentlichen auf allabendliche Fernesehsendungen. In diesen Tagen geschah etwas in diesem Land, das mich mit Entsetzen und Betroffenheit anfüllte, die Wiederkehr von etwas, was ich längst überwunden geglaubt hatte. Und ich sah die Gesichter jener PolitikerInnen einer einstmals christlichliberalen Partei, denen anzusehen war, wie genau sie wussten, mit wem und womit sie kollaborierten. Ich sah sie vor mir, die Gesichter einer Frau Gehrer und eines Herrn Khol in diesen Phasen der Entscheidung, beklommen, aschfahl, wissend, was sie tun und trotzdem unerbittlich vorwärts drängend, egal, was immer da kommen sollte.
Und plötzlich wusste ich, wie diese Stelle zu instrumentieren war: aschfahl. Harfe, Akkordeon, Pauke. Fahl wie diese Gesichter. Auch Schubert hat diese Art von Gesichtern gekannt.
In den Takten 132/133 (in Schuberts Finale der Sonate) stockt der Puls dieses Seitenthemas, die Akkorde drehen sich um das e. Die Stelle steht in G-Dur, das e übernimmt also jene tonale Position, die das a im ersten Satz hatte: Das Hauptthema des ersten Satzes ist auch hier latent präsent.
In der Wiederholung habe ich dann dieses Hauptthema als Kontrapunkt in den Streichern in höchster Lage gesetzt, auch als Reminiszenz an meine Instrumentation des Trios des 3.Satzes, hier allerdings in wesentlich rascherem Tempo, als „Zeitraffer“ der Zusatzstimme zum Trio.
Am Ende des Fragments gibt es noch einmal ein Hoffen, noch einmal ein Drängen, als würde etwas Neues, Anderes entstehen können, aber dann erklingt der „Todeston“ fis in den Trompeten und Posaunen. Das Anfangsthema des vierten Satzes erscheint noch einmal in den Flöten und es bleibt nur mehr das leere Pulsieren der Zeit.
Diese Analyse meiner eigenen Arbeit ist unvollständig. Ich habe lediglich versucht, an Hand einiger markanter Stellen die Prinzipien meines “Torso“ darzustellen.
„Torso“ entstand 2000 im Auftrag der Bregenzer Festspiele, als Mittelteil einer langfristigen Zusammenarbeit mit dem Intendanten Alfred Wopmann, der nicht nur dieses Stück, sondern auch die beiden Opern „Nacht“ (1998) und „die Pferde und die Ratten und die Lerche“ (2003) ermöglicht hat.
Georg Friedrich Haas, Wien, 5.1.2003.
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